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Goldbärchi C1
Die Goldbärchis gab es überall auf der Welt. Sie gab es nicht nur in Europa, Asien, Afrika und Australien, sondern auch in Amerika und der Antarktis. Während die Weißen in Europa lebten, die Gelben in Asien, waren die Dunkelroten in Amerika zu Haus. Die Orangen lebten in Australien, die Grünen in Afrika und die Hellroten in der Antarktis.
In Europa lebten also die Weißen. Auch wenn die Hautfarbe identisch war, Sie dachten anders. Die einen dachten sich, das Weiß die Farbe des Lebens sei. So dürften auch nur die Weißen auf der Welt leben. Nur Sie dürften in den Goldbärchis-Tüten vorkommen. Eine andere Hautfarbe wollten Sie nicht zulassen. Weiß wäre die schönste, die perfekte Farbe. Meinten einige der Weißen.
Glücklicherweise waren dies nur wenige. Die Mehrheit hatte gegen eine andere Hautfarbe nichts. Mehr noch, Sie begrüßten es, nicht immer nur Weiße zu sehen. Abwechslung würde gut tun. Langeweile gäbe es schließlich genug im Leben. Und sich mit anderen Kulturen zu unterhalten, mit anderen Goldbärchi, die nur eine andere Hautfarbe hatten, fanden die Meisten spannend. Denn nicht nur die Hautfarbe war anders, nein auch die Sprach war verschieden. Einige der Weißen verliebten sich regelrecht in die Sprache der Grünen, der Gelben, der Orange, der Grünen oder der Roten. Für Sie klang deren Sprach so fantastisch, dass einige der Weißen die andere Sprache lernen wollten. Mehr noch, Sie wollten auch mal das andere Land sehen und buchten einen Flug nach Amerika. Ein Schiff nach Afrika. Ein Pferdewagen nach Asien. Ein Flug nach Australien oder ein Schiff nach Antarktis.
Dort wurden die Weißen meist herzlich empfangen. Schließlich kannten die Gelben, Orangen, Roten und Grünen die Weißen nicht. Für Sie war weiß eine neue Farbe. Eine Interessante Farbe. Aber wehe die Gelben, Orangen, Roten und Grünen kamen nach Europa. Dann veranstalteten einige der Weißen einen Radau. Es war eine kleine Gruppe, die meinte andersfarbige Goldbärchis hätten in Europa nichts zu suchen. Sie sollten auf der Stelle verschwinden. Doch das ließ die andere, größere, Gruppe der Weißen nicht zu.
Kurzerhand wurden die fremdenfeindlichen Weißen eingesperrt, denn neuerdings gab es ein Gesetz gegen Fremdenhass. Die fremdenfeindlichen Weißen wollten das Gesetz verhindern. Sie versuchten die Weißen daran zu hindern, für das Gesetz zu stimmen. Auch wenn Sie einige wenige davon abhalten konnten, der Großteil ging zur Wahl und entschied sich für das Gesetz. Fremdenfeindlichkeit sollte es in Europa nicht geben, und jeder der es doch war, kam für mindestens sieben Jahre ins Gefängnis. Wenn nicht sogar mehr, denn wer zweimal fremdenfeindlich war, musste auch zweimal länger im Gefängnis bleiben. So kam es, dass immer mehr solcher Goldbärchis im Gefängnis saßen. Auch wenn die Zahl stieg, es war nur eine kleine Gruppe. Eine sehr kleine Gruppe.
Nicht einmal drei Prozent der Weißen Goldbärchis saßen im Gefängnis. Davon saßen aber nur knapp ein Drittel wegen Fremdenfeindlichkeit ein. Der Rest wurde wegen anderen Delikten eingesperrt. Unter Anderem wegen Raub, Diebstahl und auch Mord. Mord an dem Geliebten, an einen Andersfarbigen. Ja, wer einen andersfarbigen Goldbärchi zur Strecke brachte, wurde nicht wegen Fremdenfeindlichkeit eingesperrt, sondern wegen Mord. Denn Mord bedeutete lebenslänglich und mit lebenslänglich war auch lebenslänglich gemeint. Goldbärchis, die einen Mord verübten, blieben bis zum Ende Ihres Lebens hinter Gittern. Selbst betteln, winseln, jammern und flennen, diese Goldbärchis mussten bald erkenne, dass es kein Entkommen gab. Es half nichts. Sie blieben bis zum Ende im Gefängnis. Egal, wie sehr sie bettelten. Egal, wie laut sie jammerten. Egal, wie krank sie waren. Sie blieben im Gefängnis. So konnten die fremdenfreundlichen Weißen mit den andersfarbigen Goldbärchis viele Feste feiern. Viele Wörter austauschen. Bis der Tod auch Sie einholte und der Herr im Himmel sie zu sich rief.